Das Projekt "Orientation in Conspiration" (ORION) möchte die verschiedenen Faktoren besser verstehen, die zur Popularität von Verschwörungstheorien (VTs) in sozialen Medien beitragen. VTs wurden während des größten Teils des letzten Jahrhunderts als harmlose Kuriosität betrachtet. Ihre rasche Verbreitung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, die zu einem beträchtlichen Teil von Online-Verschwörungsgruppen getragen wurde, hat allerdings gezeigt, welchen konkreten Schaden der Glaube an VTs anrichten kann.
Die Existenz von VTs an sich ist nicht nur negativ: Ihre Anhänger:innen können eine soziale “Wächterfunktion” erfüllen, die die gesellschaftlichen Eliten zwingt, ihr Handeln zu rechtfertigen. Im Zusammenspiel mit dem Verbreitungspotenzial durch soziale Medien und den koordinierten Bemühungen externer Akteure, VTs zu verbreiten, hat sich die Rolle von VTs allerdings verschoben, sodass sie der Gesellschaft aktuell eher schaden als nützen. Obwohl sich die meisten politischen Entscheidungsträger:innen einig sind, dass die Verbreitung von VTs eingedämmt werden sollte, ist es eine ungelöste Herausforderung, ohne massive Zensur oder die Stigmatisierung von Anhänger:innen von VTs in soziale Medien einzugreifen.
In ORION fassen wir die Verbreitung von VTs als Phänomen auf, das durch verschiedene individuelle, soziale und technologische Aspekte begünstigt wird. Wir wollen die verschiedenen Beiträge dieser Aspekte zur Verbreitung von VTs verstehen, um die basis für Interventionen zu schaffen, die auf die Gestaltung von Plattformen und Algorithmen sowie auf Aktivitäten abzielen, die von externen Akteuren koordiniert werden, anstatt einzelne Anhänger:innen von VTs zu stigmatisieren und zu zensieren. Es ist höchste Zeit, empirische Evidenz für solche Interventionen zu liefern, da die Alternative massive Eingriffe in die Privatsphäre der Nutzer:innen und die Meinungsfreiheit bedeuten, und die Freiheit des Internet gefährden würden.
Der deutsche Sprachraum unterscheidet sich von anderen kulturellen Kontexten durch die hohe Prävalenz von Rechtsextremismus sowie den verbreiteten Glauben an Esoterik und Alternativmedizin. Da wir insbesondere Erkenntnisse für den deutschsprachigen Raum gewinnen möchten, konzentrieren wir uns auf VTs aus deutschsprachigen Telegram-Kanälen. Wir nutzen ein Archiv dieser Kanäle (das “Schwurbelarchiv”), das 2022 veröffentlicht wurde. Dieser Datensatz ist sehr groß (24 TB) und schwer zu handhaben, da die Daten als HTML-Dateien strukturiert sind und ein großer Teil davon multimediale Inhalte sind. Ein wesentlicher Beitrag von ORION ist daher, den Datensatz zu bereinigen, zu strukturieren und Teile der multimedialen Inhalte zu transkribieren, um automatisierte Textverarbeitung zu ermöglichen. Wir werden diesen bereinigten und angereicherten Datensatz einschließlich einer detaillierten Beschreibung auf FAIRe Weise zur Verfügung stellen, mit der ausdrücklichen Absicht, anderen Forschungsgruppen zu ermöglichen, damit zu arbeiten.