Förderjahr 2018 / Stipendien Call #13 / ProjektID: 3227 / Projekt: Datenmissbrauch im Kartellrecht
Wodurch zeichnet sich die Internetwirtschaft aus?
Datengetriebene Geschäftsmodelle sind in der Digitalökonomie besonders häufig anzutreffen. Dabei weist die Internetwirtschaft eine Reihe (wirtschaftlicher) Besonderheiten auf, die auch Einfluss auf die kartellrechtliche Beurteilung haben.
Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Konzept zwei- bzw mehrseitiger Märkte zu, auf denen ein Anbieter gleichzeitig mehrere Nachfragergruppen bedient. Das Phänomen mehrseitiger Märkte ist zwar grundsätzlich nichts Neues, seit dem Aufkommen von Internetplattformen allerdings besonders weit verbreitet. Ein prominentes Beispiel mehrseitiger Märkte in der traditionellen Ökonomie bilden etwa Einkaufszentren: Der Betreiber eines Einkaufszentrums stellt den Kontakt zwischen Shops (Seite 1) und deren potentiellen Kunden (Seite 2) her. Das digitale Gegenstück bilden Online-Marktplätze wie etwa Amazon oder Ebay. Auch hierbei agiert der Betreiber der Internetplattform lediglich als Vermittler zwischen den Verkäufern (Seite 1) und den Käufern (Seite 2). Darüber hinaus können auf der Plattform auch Werbetreibende (Seite 3) aktiv sein. Von besonderer Bedeutung ist, dass die verschiedenen Plattformseiten über sog Netzwerkeffekte eng miteinander verbunden sind: Unternehmen bieten ihre Produkte auf der Plattform nur dann an, wenn sie davon ausgehen können, dass die Plattform von vielen Nutzern besucht wird. Umgekehrt werden potentielle Käufer die Plattform nur dann nutzen, wenn vielfältiges Angebot vorhanden ist. Der Plattformbetreiber muss eine Strategie entwickeln, die es ihm erlaubt, sämtliche Nachfragergruppen „an Bord zu holen“. Um dies zu erreichen, wird die Plattformleistung einfachen Internetnutzern oft „kostenlos“ bzw zu besonders günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise soll zahlungskräftiges Publikum wie Werbetreibende angezogen werden, die bereits sind, hohe Preise für die Schaltung (nutzerorientierter) Werbung zu bezahlen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Preise, die auf der einen Seite „zu günstig“ bzw auf der anderen „zu hoch“ sind, wettbewerblich bedenklich sein. Die asymmetrische Bepreisung der verschiedenen Nachfragergruppen auf Internetplattformen ist kartellrechtlich allerdings nicht per se verboten. So kann aus dem Vorliegen von „Nullpreisen“ gegenüber einer Nachfragergruppe nicht ohne Weiteres auf eine verbotene Verdrängungspreisstrategie geschlossen werden. Auch das Verlangen vermeintlich überhöhter Preise gegenüber anderen Nachfragern ist nicht zwingend Ausdruck von Marktmacht. Vielmehr lässt sich die Preisgestaltung (zumindest teilweise) auf die Funktionsweise digitaler Geschäftsmodelle zurückführen. Wie bereits erwähnt, stellen „Nullpreise“ eine geschäftliche Strategieentscheidung dar, um zahlungskräftige Kundschaft wie etwa Werbetreibende anzuziehen und auf diese Weise die Plattform zu finanzieren.
Eine weitere Besonderheit der Digitalökonomie besteht darin, dass der Wettbewerb regelmäßig nicht über traditionelle Parameter wie etwa Preise stattfindet, sondern über Innovationsleistungen. Entscheidend ist demnach die Entwicklung technisch-innovativer, überlegener Produkte bzw Dienstleistungen. Vor dem Hintergrund disruptiver Innovationen ist grundsätzlich auch die Markstellung vermeintlich starker Unternehmen angreifbar. In der Digitalökonomie kommt es – statt eines Wettbewerbs auf dem Markt – häufig zu einem Wettbewerb um den Markt. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass digitale Märkte oligopolistische bzw monopolistische Strukturen aufweisen. Konzentrationstendenzen können durch sog. Lock-In-Effekte gefördert werden. Dieses Phänomen umschreibt die Bindung des Nutzers, die dadurch entsteht, weil er sich für ein bestimmtes System entschieden hat. In Bezug auf digitale Geschäftsmodelle wie etwa Suchmaschinen oder soziale Netzwerke wird oft vorgebracht, dass die Konkurrenz „nur einen Klick“ entfernt sei und der Nutzer jederzeit zu einer anderen Plattform wechseln könne. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass Wechselkosten bspw auch in Form von Gewöhnungseffekten auftreten können. Diese könnten etwa mit der Nutzung der prominenten Suchmaschine Google einhergehen. In Bezug auf soziale Netzwerke erscheint ein Wechsel ua auch dann schwierig, wenn der eigene Freundeskreis etwa ausschließlich auf Facebook registriert ist. Abgeschwächt werden diese Konzentrationstendenzen durch Produktdifferenzierung, dh durch die Entwicklung von spezialisierten, auf bestimmte Kundengruppe zugeschnittene, Nischenangebote, weil sich dadurch das Angebot verbreitert. Darüber hinaus wirkt auch die grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Nutzer, gleichzeitig konkurrierende Plattformen zu nutzen (sog. Multi-Homing), konzentrationshemmend.
Je nach konkreter Ausprägung der konzentrationsfördernden bzw- hemmenden Faktoren, sind in der Digitalökonomie unterschiedlichste Marktstrukturen vorstellbar. Genuinen Konzentrationstendenzen können insb der hohe Innovationsgrad sowie die laufende Erschließung neuer Geschäftsfelder entgegenwirken. In der Vergangenheit hat bereits eine Reihe von Unternehmen mit hohen Nutzerzahlen ihre vermeintlich starke Marktstellung innerhalb kürzester Zeit an neue innovative Marktakteure verloren. Man denke hierbei beispielsweise an StudiVZ und MySpace im Bereich soziale Netzwerke bzw an Yahoo! oder Altavista bei Suchdiensten. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung sowie der zunehmenden Verbreitung (mehrseitiger) Online-Plattformen kann davon ausgegangen werden, dass sich Kartellbehörden und -gerichte in Zukunft vermehrt mit den Besonderheiten der Digitalökonomie auseinandersetzen werden.