
Förderjahr 2023 / Projekt Call #18 / ProjektID: 6899 / Projekt: ARTverse
In der für das ARTverse-Projekt entwickelten Lehrumgebung präsentieren wir ein Konzept, das räumliche Elemente und Interaktionsdesign als Medium für die Vermittlung von Kunstgeschichte miteinander verbindet.
Eine Vorlesung in Kunstgeschichte in VR
In der für das ARTverse-Projekt entwickelten Lehrumgebung präsentieren wir ein Konzept, das räumliche Elemente und Interaktionsdesign als Medium für die Vermittlung von Kunstgeschichte miteinander verbindet. Dieser virtuelle Raum entstand in enger Zusammenarbeit mit der Kunsthistorikerin und Forscherin Temenuzhka Dimova vom Labor für kognitive Forschung in der Kunstgeschichte (CReA) der Universität Wien.
Hintergrund: Gedächtnisräume
Gedächtnisräume, auch bekannt als Loci-Methode, sind eine besondere Gedächtnistechnik, die Informationen mit bestimmten physischen Orten in einer vertrauten Umgebung verknüpft. Diese Technik stammt aus dem antiken Griechenland, wo Redner:innen sie zum Einprägen langer Reden nutzten. Dabei visualisiert man einen vertrauten Raum, beispielsweise ein Haus oder einen Weg, und platziert gedanklich Informationen an verschiedenen Orten innerhalb dieses Raumes. Beim Abrufen der Informationen durchläuft man gedanklich die Umgebung und ruft die gespeicherten Details an jedem festgelegten Ort ab. Diese Methode wird häufig von Gedächtnistrainer:innen eingesetzt und kann zum Lernen von Reden, zum Lernen für Prüfungen oder sogar zum Erinnern alltäglicher Aufgaben eingesetzt werden.
Gedächtnisräume in virtueller Realität
Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass VR eine vielversprechende Plattform für die Implementierung der Method of Loci (MoL) ist (siehe 1, 2, 3, 4). Um wirklich effektiv zu sein, sollte die Gestaltung dieser virtuellen Gedächtnisräume Folgendes berücksichtigen:
• Immersion verbessert das Gedächtnis: Ein höherer Immersionsgrad in VR-Umgebungen führt zu einer besseren Auseinandersetzung mit der MoL und einer präziseren Erinnerungsgenauigkeit.
• Räumlicher Kontext ist entscheidend: Die explizite Verknüpfung von Erinnerungselementen mit bestimmten Orten innerhalb einer VR-Umgebung stärkt die Gedächtnisleistung.
• Nutzerfähigkeiten sind wichtig: Personen mit ausgeprägten räumlichen Denkfähigkeiten profitieren tendenziell stärker von VR-basierten MoL-Techniken.
• Optimiertes Design verbessert die Ergebnisse: Sorgfältig gestaltete VR-Gedächtnispaläste, die Immersion, räumlichen Kontext und Nutzerinteraktion berücksichtigen, können die Gedächtnisleistung deutlich mit nur minimalem Training verbessern.
Der ARTverse Gedächtnisraum
Der Erinnerungsraum des ARTverse-Projekts wurde anhand des Gemäldes „Die Falschspieler“ von Caravaggio als Grundlage für eine kunsthistorische Vorlesung gestaltet. Das Gemälde zeigt einen Spieltisch, an dem ein junger Adliger unwissentlich von zwei Verschwörern betrogen wird. Der naive Spieler konzentriert sich auf seine Kartenhand, während ihm gegenüber ein Falschspieler diskret hinter seinem Rücken weitere Karten zieht. Hinter dem jungen Mann blickt ein älterer Komplize über seine Schulter und signalisiert seinem Partner mit einer betrügerischen Geste. Die Komposition erzeugt einen Kontrast zwischen Unschuld und List, während der Betrachter zum Komplizen wird (5).
Wir nutzten das Theater der Erinnerung von Giulio Camillo als Inspiration für den virtuellen Raum. In einem Modell eines Amphitheaters platzieren wir das Hauptgemälde auf der Bühne, dazu gibt es Referenzgemälde und Objekte zu fünf Themen:
Ikonographie
In diesem Bereich befinden sich Objekte und andere Gemälde, die mit den Symbolen des Kunstwerks in Zusammenhang stehen, welches die Basis der Kunstgeschichte-Einheit bildet. Im Fall von Caravaggios „Die Falschspieler“ sehen die Nutzer:innen ein Modell des Backgammon-Spiels in der unteren linken Ecke des Gemäldes. Außerdem können die Nutzer:innen einige der Karten betrachten und mit ihnen interagieren. Hält man sie in der VR-Anwendung in der virtuellen Hand, enthüllen sie zusätzliche Informationen über die Spiele zu Caravaggios Zeiten.
Materialien und Arbeitsprozess
Dieser Bereich zeigt das Gemälde in Originalgröße. Nutzer:innen können mit einer Infrarotkamera nach Infrarotdetails suchen oder mit einer Lupe Details zu Caravaggios Maltechnik entdecken.
Biografie und historischer Kontext
In diesem Bereich können Nutzer:innen mit einer Zeitleiste interagieren, die Informationen zum Gemälde im Verlauf der Zeit anzeigt. Außerdem ist eine Karte mit Caravaggios Geburts- und Sterbeort sichtbar.
Werk & Stilistik
Dieser Bereich präsentiert anhand weiterer Gemälde Caravaggios den Stil des Künstlers und stellt die Themen vor, die Caravaggio oft im Zusammenhang mit den Gefahren von Liebe und Spiel behandelte. Durch die Interaktion mit einem animierten Eidechsenmodell können die Nutzer:innen eine Allegorie der verborgenen Gefahren sinnlicher Freuden kennenlernen.
Künstlerisches & kulturelles Erbe
Der Einfluss von Caravaggios Falschspielern auf die Kunstgeschichte wird in dem Bereich dargestellt, wo Nutzer:innen mehrere Gemälde betrachten können, die das gleiche Motiv des Betrugs und der denunziatorischen Gesten in Gemälden mit Spielthema verwenden. Die Nutzer:innen suchen nach den in der Raummitte dargestellten Gesten und vergleichen deren unterschiedliche Anwendung.
Wie man ART_history_verse verwendet (und wiederverwendet)
Die ARTverse VRChat-Welt für Kunstgeschichte ist für kunsthistorische Vorlesungen konzipiert, in denen Dozierende Studierende durch verschiedene räumlich definierte Themenbereiche führen, die in einer Sequenz erschlossen werden. In der VRChat-Welt gibt es einen vorbereiteten Bereich für einen Kurs zu Caravaggios „Die Falschspieler“(Sie können die ARTverse VRChat World für den Kunstgeschichtsunterricht hier besuchen).
Falls Dozierende eine Vorlesung zu einem anderen Thema halten möchten, kann das Unity-Projekt des VRChat-Bereichs im Git-Repository des Projekts heruntergeladen und für Vorlesungen zu anderen Kunstwerken und Künstler:innen angepasst werden. Im Projekt finden Nutzerinnen und Nutzer wiederverwendbare 3D-Modelle und vordefinierte Skripte zur Reproduktion der im ARTverse-Projekt verwendeten Interaktionsmethoden. Zum Herunterladen von Bildern und pädagogischem Material empfehlen wir das Europeana-Webportal für digitalisiertes Kulturerbe und das Sketchfab-Portal für 3D-Modelle.
Fazit: Eine Struktur zur Unterrichtsgestaltung
Die ARTverse-Lehrumgebung wurde nicht als selbsterklärende Umgebung oder vollständig automatisierter Kunstgeschichtskurs konzipiert. Sie dient als Vorlage für Kunstgeschichtslehrkräfte, um ihre Gedanken räumlich zu ordnen, eine interaktive Unterrichtsumgebung zu schaffen und die Prinzipien von Gedächtnistechniken zu nutzen, um den Lernprozess der Schüler:innen zu verbessern.
In unseren ersten Tests gefiel den Nutzer:innen der spielerische und intuitive virtuelle Raum, der für eine kunsthistorische Lektion angepasst wurde. Sie erkundeten den Raum und interagierten mit den Objekten, während sie mehr Informationen über Caravaggios Gemälde, sein Leben und seine Techniken erhielten. Dies zeigt, dass immersive Umgebungen ein großes Potenzial für die Bildung und das Erleben von Kunst, Kultur und Geschichte auf eine neue und einzigartige Art und Weise haben, indem sie Inhalte zu bestimmten Themen kuratieren und dem Benutzer zusätzliche Dimensionen bieten.