Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2422 / Projekt: Repräsentationen des digitalen Spielens
Als gutes, qualitatives Interview wird gerne ein solches bezeichnet, in dem das Gegenüber frei und ungehemmt erzählt und die Forscherin oder der Forscher nur selten zu Wort kommt, um richtungsweisend Fragen zu stellen. Menschen die gerne digitale Spiele spielen, tendieren dazu, gerne und viel über diese Leidenschaft zu sprechen, sobald sie den Eindruck gewonnen haben, mit Gleichgesinnten an einem Tisch zu sitzen. Gemessen am eingangs erwähnten Kriterium sind meine Interviews also – wenig überraschend – gute Interviews. Ohne viel Zutun meinerseits erzählen mir meine Interviewpartnerinnen und -partner über – gemäß dem bisher gesammelten Material – eine bis drei Stunden von den Spielen ihrer Kindheit und Jugend, ihren Gaming-Buddies, ihrer Meinung zur #Gamgergate-Debatte oder ihren Strategien, als Jungeltern noch Zeit zum Zocken zu finden.
Zu den Interview-Transkripten gesellen sich dann Notizen von teilnehmenden Beobachtungen, Zeitungsartikel, YouTube-Videos, eigene Spielerfahrungen und vieles mehr. Immer wenn sich ein relevant erscheinendes Themenfeld auftut, beginnt die Suche nach dazu passender Fachliteratur und dort führt dann ebenfalls ein Text zum nächsten.
Kulturanthropologische Forschung generiert ihre Fragestellung aus dem Feld. Aber aus der Menge an Daten ergibt sich selbstredend nicht nur eine Frage. Als Forscher folge ich diversen Spuren, die ich in den Daten entdecke, suche Verknüpfungspunkte zwischen Interviews und Parallelen zu vorhandenen Theorien. Erst einmal ist alles relevant und es erst nach und nach beginnt der schwierige Prozess, das Interesse der eigenen Arbeit immer genauer zu definieren und immer mehr Spuren unverfolgt zurück zu lassen.
In meiner bisherigen Forschung habe ich mich auf Spielen als deviantes Verhalten fokussiert, auf Stigmatisierungstheorien, auf das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu und den Gouvernmentalitätsbegriff von Michel Foucault. Ich habe mich mit Raumtheorien, Theorien der Männlichkeit und Haraways Cyborg Manifesto auseinandergesetzt und natürlich mit einem ganzen Packen von Texten aus den Game Studies. Auf alle diese Texte bin ich über Beobachtungen im Feld und die Diskussion dieser Beobachtungen mit anderen gestoßen. Alle haben direkt oder indirekt etwas über digitales Spielen als kulturelle Praxis zu sagen. Und vieles von dem, was gesagt wird, greift ineinander.
Im Hinblick auf die Dissertation geht es jetzt darum, eine Struktur entstehen zu lassen. Dazu gilt es die verschiedenen Stränge logisch miteinander in Verbindung zu setzen und den einen oder anderen auch sein zu lassen – um ihn eventuell später einmal wieder aufzugreifen. Einfach ist das nicht. Auch weil sich weiterhin immer wieder neue Ansätze auftun. Und weil natürlich jeder Faden für sich hoch interessant ist. Der Balanceakt zwischen dem Vorsatz, offen zu bleiben und sich vom Feld über die eigenen Horizonte hinaus leiten zu lassen und der Notwendigkeit, sich nicht im Meer an Eindrücken und Daten zu verlieren, wird mehr und mehr zur zentralen Herausforderung.