Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2422 / Projekt: Repräsentationen des digitalen Spielens
In meinem letzten Blogg-Beitrag habe ich darüber geschrieben, wie die Idee von digitalen Spielen als sozialen Räumen dabei hilft, jugendliche Faszination für das Medium zu erklären. Videospiele bieten Freiräume und Freiräume kommen vielen Bevölkerungsgruppen mehr und mehr abhanden.
Michel Foucault hat in den 1970ern über Heterotopien nachgedacht, über andere Räume, Gegenräume, wie er sie auch immer wieder nennt. Als Beispiele nennt er Jahrmärkte und Ferien-Siedlungen, aber auch Gefängnisse und Altenheime. Orte, die aus der Welt herausgenommen scheinen, an denen andere Regeln gelten, aber auch Orte, die zum Wegträumen einladen. „Die Kinder“, schreibt er: „kennen solche Gegenräume, solche lokalisierten Utopien sehr genau.“ Und dann schreibt er vom Garten, vom Dachboden und vom elterlichen Ehebett das, wenn die Eltern nicht zuhause sind, zum Meer wird, zum Himmel und zu sonst jedem Ort, den sich die Kinder beim Spielen gerade herbeiwünschen. Heterotopien sind Orte des kreativen Ausbrechens und verschiedener Formen der Freiheit.
Und Foucault schreibt auch, dass es Krisen- und Abweichungsheterotopien gibt und deutet damit an, dass es immer um Notwendigkeiten und Wünsche geht, die sich in der „normalen“ Welt nicht befriedigen lassen – denen der Raum fehlt, wie dem Bedürfnis von Jugendlichen nach Privatsphäre und der Möglichkeit, ihren eigenen Zugang zur Gesellschaft zu finden. Aber Jugendliche sind eben bei weitem nicht die einzige Gruppe, die sich in der Welt um sie herum nicht immer willkommen fühlt und nach Ausweichmöglichkeiten sucht, die oft in digitalen Räumen gefunden werden.
In meinen Interviews mit Spielenden geht es immer wieder um Phasen sozialer Schwierigkeiten, in denen Spielewelten ein willkommener Rückzugsort waren. Orte, an denen andere Fähigkeiten über den sozialen Status entscheiden, als draußen in der physischen Welt. Und die älteren unter den Interviewten erzählen immer wieder von den bahnbrechenden ersten Online-Spielen. Plötzlich füllten sich die Rückzugsorte, die man bislang mit Geschwistern oder Freunden gemeinsam vor einem Bildschirm erkundete, mit Gleichgesinnten von allen Kontinenten. Vor allem die ersten Generationen von Online-Spieler*innen schwärmen von einer Welt der Gleichheit und Offenheit, von einer gelebten Utopie – und erzählen immer wieder von den Kränkungen, von außen als Sonderlinge und Nerds wahrgenommen zu werden.
Heterotopien, Gegenräume, stellen Realitäten und Normen in Frage, indem sie Möglichkeiten aufzeigen. Und der Zusammenhalt sozialer Gruppen wird zu einem großen Teil durch aktives Bewahren gemeinsamer Normen sichergestellt. Kein Wunder also, das hier Konfliktpotenzial entsteht und digitale Spiele an vorderster Front für Verunsicherung sorgen – ein Gedankengang, den es in diesem Projekt, wie in diesem Blogg, weiter zu verfolgen gilt.