"Das ist ja keine echte Freundschaft."
Stellenwert von Computerspielen im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe (14.08.2019)
Förderjahr 2018 / Stipendien Call #13 / ProjektID: 3550 / Projekt: "Game Over?"

Im letzten Jahr wurde ich vermehrt von betreuten Wohneinrichtungen für fachliche Inputs zum Thema Computerspiele angefragt. Manche der Einrichtungen berichteten von Kindern und Jugendlichen, die durch ihr exzessives Spielverhalten auffielen.

Die Präsenz von problematischem Spielverhalten in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist wenig überraschend. Viele BewohnerInnen der Einrichtungen erfuhren in ihren Herkunftsfamilien problematische Erlebnisse. Wenn es stimmt, dass männliche Jugendliche beim Verarbeiten unangenehmer Gefühle vermehrt zu ausweichenden Strategien greifen scheint es naheliegend, dass sich in vielen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auch ausweichende Copingstrategien finden – eine davon kann das exzessive Computerspielen sein.

Darum schien es nur logisch, die Zielgruppe der Arbeit zu vergrößern und neben dem Umgang mit Gaming in traditionellen Familienstrukturen auch den Umgang mit dem Medium in anderen erzieherischen Kontexten zu untersuchen.

Nach einigen Interviews im Kontext der betreuten Wohngemeinschaften in der Kinder- und Jugendhilfe fällt dabei auf, dass es auch unter den ProfessionistInnen keinen einheitlichen Zugang zum Medium gibt. Während es Einrichtungen mit strengen zeitlichen und inhaltlichen Regelungen zum Konsum von Computerspielen gibt, wird in anderen weder inhaltlich kontrolliert und zeitlich nur dann eingeschritten, wenn es kritisch wird. Was das bedeutet, ist wiederum von der Auslegung der jeweiligen Fachkraft abhängig, wird aber stark an die Körperhygiene sowie das Erfüllen beruflicher Pflichten der Betroffenen gebunden.

Auch beim gemeinsamen Spiel zeigen sich Diskrepanzen: während es für viele Befragte selbstverständlich ist, auch bei klassisch männerdominierten Sportarten wie Fußball ab und an mitzuspielen, ist Gaming nur für diejenigen Betreuerinnen als gemeinsame Aktivität interessant, die auch in ihrer Freizeit spielen. Als Medium, in das Betreuungspersonen oft wenig Einblick haben, bietet sich die Welt digitaler Spiele in diesem Fall für Jugendliche als Rückzugsort an - in einer Lebenssituation, in der Privatsphäre oft nur sehr schwer möglich ist.

Eine weitere Besonderheit zeigte sich in der Definition und Bewertung von Freundschaft bei BetreuerInnen und BewohnerInnen. Einige der befragten Bewohner gaben an, langjährige FreundInnen über Onlinespiele kennengelernt zu haben und diese Kontakte online und telefonisch regelmäßig zu pflegen. Gleichzeitig geben die BetreuerInnen an, diese Kontakte als sehr problematisch zu sehen. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Kontakte rein virtueller Natur sind und sich die AkteurInnen nie physisch getroffen haben. Die Qualität dieser Freundschaften wird also unter anderem an der Frequenz der physischen Begegnungen gemessen. In diesem Sinne würden sich also auch die klassischen Brieffreundschaften als Freundschaft mit sehr geringer Wertigkeit qualifizieren. Eine Frage, die eine der Befragten sofort verneint, um danach zu schmunzeln.

Der Umgang mit digitalen Medien in der stationären Kinder- und Jugendhilfe ist ein beinahe unberührtes Forschungsfeld. Die ersten Erfahrungen zeigen aber bereits spannende Diskrepanzen in der Wahrnehmung und Bewertung der digitalen Lebenswelt in einem Umfeld, das für jugendliche Lebenswelten traditionell von Spannungen geprägt ist.

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