Der Begriff ‚Wohnen‘
Eine Zusammenfassung der Begriffsanalyse (14.07.2024)
Förderjahr 2023 / Stipendien Call #18 / ProjektID: 6727 / Projekt: Gutes Wohnen in Smart Homes.

Auszug aus dem etymologischen Wörterbuch nach Wolfgang Pfeifer:

wohnen Vb. ʻseinen ständigen Aufenthalt habenʼ, ahd. wonēn (8. Jh.), mhd. wonen ʻsich aufhalten, bleiben, (ver)weilen, ausharren, wohnen, pflegenʼ, asächs. wonon, wunon ʻbleiben, wohnen, ausharrenʼ, mnd. mnl. wōnen, nl. wonen, afries. wunia, wenia, aengl. Wunian ʻbleiben, wohnen, gewohnt seinʼ, anord. una ʻzufrieden sein mitʼ, got. in (Part. Präs.) unwunands ʻsich nicht freuend, bekümmert, unzufriedenʼ (germ. *wunēn, *wunōn ʻzufrieden seinʼ) stehen wie die unter Wonne, Wunsch (s. d.) genannten Formen schwundstufig zu der unter gewinnen (s. d.) verzeichneten Wurzel ie. *uen(ə)- ʻstrebenʼ, dann ʻwünschen, lieben, befriedigt seinʼ, auch ʻerarbeiten, Mühe habenʼ, perfektiv ʻerreichen, gewinnenʼ. Die Bedeutungsentwicklung geht von ʻstreben (nach etw.)ʼ aus und führt wohl über ʻerreichen, befriedigt sein, etw. gern haben, gewohnt seinʼ zu ʻwohnenʼ, d. h. ʻsich an einem gewohnten Ort ständig aufhaltenʼ.[1]

Drei etymologische „Grundbedeutungen des Wohnens“

Aus dieser Etymologie lassen sich drei „Grundbedeutungen“ herauskristallisieren, die sich in der einschlägigen Literatur immer wieder finden. Erstens das Wohnen als ein „sich aufhalten“, „bleiben“, „sich befinden“, zu deuten; zweitens das Wohnen als Abgrenzungsphänomen „um- und befrieden“ zu deuten und drittens Wohnen als einen Begriff von „sich etwas vertraut machen“, „ge-wohnt sein“ zu interpretieren.

In meiner Dissertation wird die Begriffsanalyse für jede Grundbedeutung ausführlich dargelegt. Hier möchte ich eine kurze Zusammenfassung liefern.

Wohnen als ein Bleiben:  Die existenzielle Deutung ist aus Heideggers und Levinas Perspektive die grundlegendste Bedeutung des Wohnens. Der Mensch markiert mit seiner Existenz, mit seinem An-wesen, mit seinem Menschsein ein Dasein an einer bestimmten Stelle in Raum und Zeit. Ohne ein Bleiben an einem Ort, einem „sich befinden“, einem „sich auf-halten“ wäre eine Bezugnahme unmöglich. Ohne eine raumzeitliche Situierung[2] wäre der Mensch überall und nirgendwo in der Ewigkeit. Deshalb denken Heidegger und Levinas das Bleiben aus einer Ontologie heraus.

Wohnen als ein ge-, be- wohnen: Das „Ge-wohnte“ beinhaltet den Prozess des Ge-wöhnens. Sich an etwas zu gewöhnen, bedeutet es „sich vertraut zu machen“, es „sich zu eigen machen“, sodass es mit dem Eigenen verschmilzt und in einen fraglos gegeben Hintergrund einsinkt. Insofern ist das ge-, be-wohnen als eine Tätigkeit zu betrachten, die als aktiver Umgang mit der Umgebung gedeutet werden kann.

Wohnen als ein ‚um-, befrieden‘ und ‚zufrieden sein‘

Aus der Etymologie von ‚wunian‘ lässt sich zunächst die Bedeutung von „zufrieden sein“, oder „befriedet sein“ entnehmen. Es geht dabei nicht primär um einen abgegrenzten Bereich, der befriedet ist, sondern um den Menschen selbst, der zufrieden ist, also um einen Gemütszustand. Dieser Zustand der Harmonie, stellt sich ein, wenn der Mensch mit sich und der Umwelt im Einklang ist.  Es bildet sich ein Gefühlsraum, eine Atmosphäre des ‚zufrieden seins‘ aus.

Ergebnis der Begriffsanalyse: Die Grundbedeutungen, die sich aus der Etymologie ergeben sind oft nicht klar und eindeutig voneinander abgrenzbar. Trotzdem wurde versucht die unterschiedlichen Akzentuierungen in der Bedeutung des Begriffs ‚wohnen‘ herauszuarbeiten. Draus lässt sich meines Erachtens eine vorläufige Kategorisierung in mind. drei Bedeutungsdimensionen vornehmen: 1. eine ontologisch, 2. eine tätige (als Tätigkeit) und 3. eine atmosphärische. Ausgedrückt wird ersteres in der Bedeutung des „Bleibens“, des „sich Aufhaltens“. Die Tätigkeit des Wohnens lässt sich in seiner Bedeutung des „Ge- und Bewohnens“ ableiten, sowie der „Umfriedung“. Wobei die Umfriedung bereits Übergänge zum atmosphärischen aufweist, die sich dem „zufrieden sein“ annähert. Ein „zufrieden sein“ beinhaltet die räumlich-atmosphärischen Dimensionen von Gemütszuständen, sozialen und topologischen Beziehungen.

Anhand der Begriffsanalyse konnte gezeigt werden, dass allein aufgrund der Etymologie bei der Multidimensionalität des Wohnens von mind. drei Dimensionen auszugehen ist.

 

[1] Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, "wohnen", Quelle: https://​www.dwds.de​/​wb/​wohnen​?​o=​Wohnen (Zugriff am 04.12.2023).

[2] Vgl. Lévinas, Emmanuel, Totalität und Unendlichkeit, Versuch über die Exteriorität, Freiburg/München 1987, 218.; Precht, Oliver, Heidegger, Zur Selbst- und Fremdbestimmung seiner Philosophie, Hamburg 2020, 69.

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Philosophie Wohnen multidimensionales Wohnen Smart Home Begriffsanalyse

Theres-Antonia Bock

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Mein Tätigkeitsfeld erstreckt sich von der klassischen Innenarchitektur bis hin zur Architekturphilosophie.
Derzeit konzentriere ich mich auf meine Dissertation im Bereich Digitalisierung des Wohnens.

Als Innenarchitektin durfte ich in den letzten Jahren miterleben, wie die Digitalisierung immer mehr in den Standard Wohnbau Einzug hält. Smart Buildings und Smart Homes ermöglichen eine effizienteres Facility-Management. Aus ökonomischer Perspektive macht es daher Sinn diese Technik voranzutreiben. Wie sieht es allerdings mit anderen Bereichen aus, die diese Technik ebenfalls beeinfluss? Mit dem Einzug der smarten Technologien in den Pflegebereich und damit in das assistive Wohnen stellen sich grundlegende ethische Fragen. Im Zuge meines Philosophiestudiums und späteren Forschung beschäftigte ich mich immer mehr mit dem Zusammenhang zwischen Technik- Mensch und dem Wohnen und stellte mir immer mehr die Frage, wie die Digitalisierung des Wohnens unser Verständnis vom Wohnen verändern wird.
Wird es ein gutes Wohnen bzw. Leben sein, wenn wir in Zukunft mit unserem Wohnraum kommunizieren?
Wird es ein gutes Wohnen bzw. Leben sein, wenn unser Wohnraum eine auf uns zugeschnittenes Wohnklima schafft?
Wird es ein gutes Wohnen bzw. Leben sein, wenn uns unser Wohnraum vollautomatisch alle unsere Bedürfnisse stillt?
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