Mit dem Brexit-Referendum wurde eine historische Entscheidung getroffen. In naher Zukunft wird folglich Großbritannien auch nicht mehr Teil des Europäischen Binnenmarkts sein. Ein Umstand, der möglicherweise die Gründung eines digitalen Unternehmens in Estland besonders attraktiv für BritInnen macht?

Potential des Brexit für Estland

Einer meiner Interviewpartner hat die sehr guten Beziehungen zwischen Großbritannien und Estland mit der britischen Unterstützung während der ersten Unabhängigkeitserklärung von Estland im Jahr 1918 begründet. Auch heute pflegen beide Länder einen engen wirtschaftlichen und politischen Kontakt. 

Knapp 100 Jahre nachdem die Esten auf die Briten bauen konnten, ist es Estland nun möglich, etwas zurückzugeben. Mithilfe des Programms der e-residency könnten doch interessierte UnternehmerInnen in Großbritannien vom Binnemarkt der Europäischen Union weiterhin profitieren, oder?

Bereits einige Tage nach dem Referendum, soll es laut einem weiteren von mir interviewten Experten, zu einem Anstieg an Internet-Usern aus Großbritannien, welche sich über die e-residency online informierten, gekommen sein. Eine wirklich klare Übersicht über die Anzahl an Usern bzw. eine Einschätzung, wie stark der digitale Zugriff stieg, konnte oder wollte der Verantwortliche nicht mit mir teilen. Es bleibt mysteriös.

Wie bleibe ich in der EU?

Fakt ist aber zweifelsohne: Es wurde aufgrund des Brexit-Referendums eine gesonderte Homepage, neben der regulären Homepage zur e-residency, erstellt. Die neue Homepage, sollte, wie kann es nur sein, http://www.howtostayin.eu genannt.

Mittlerweile wird relativ klar kommuniziert, dass es sich bei der e-residency um eine Option handelt, dass ein Unternehmen in einem Mitgliedsland der EU gegründet werden kann. Die Verwirrung soll aber unter den potentiellen Interessenten nicht klein gewesen sein. Hoffte doch manch verzweifelter Inselbewohner, mit der e-residency weiterhin ein Bürger der Europäischen Union zu bleiben. Unabhängig von der Reaktion auf das Brexit-Referendum schilderte mir ein Interviewpartner, dass die britische Regierung "not amused" über das Konzept gewesen wäre - zu groß war doch die Sorge vor einer möglichen Steueroase Estland. Eine Einschätzung bzw. Reaktion, die allerdings nicht alleine von Großbritannien getragen wurde. So sollen auch weitere Länder ihre Bedenken gegenüber dem neuesten digitalen Hit aus Estland gehabt haben. 

Großbritannien weiterhin im Fokus des estnischen Marketing

Auch besteht bei dem ein oder anderen Experten, welchen ich interviewt habe, Unklarheit, wo e-residents ihre Steuern zu zahlen haben. Die Fragen von e-residents in einschlägigen Foren zementieren das Bild. Auch die digitalen UnternehmerInnen wissen teilweise nicht, in welchem Land sie nun ihre Abgaben zu leisten haben.

So unklar hier der Informationsstand ist, so zielorientiert steht Großbritannien, neben Ländern wie Südkorea oder Indien, im Fokus des estnischen Marketing. Aufgrund des Mitgliedsstatus der D7, den weltweit führenden digitalen Administrationen, und aufgrund des Brexit-Referendums habe ich mich deshalb dazu entschlossen, herauszufinden, wie britische ExpertInnen bzw. ExpertInnen für den britischen Markt das Experiment e-residency in Estland auffassen.