Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2188 / Projekt: Das Konzept der e-residency
Am 1. Dezember 2017 gab es in Estland einen Grund zu feiern. Mithilfe von Skype, einer, wie soll es nur sein, estnischen Erfindung, wurden e-residents aus aller Welt zugeschaltet, um live der Geburtstagsfeier für das Konzept in Tallinn beizuwohnen.
Bereits seit mittlerweile drei Jahren können sich Menschen um eine digitale Identität der estnischen Regierung bewerben. Online, das versteht sich von alleine. Das erklärte Ziel des Programms ist es, weltweit unternehmerisches Potenzial, unabhängig von volkswirtschaftlichen und politischen Umständen zu „entfesseln“. Einzig und allein eine Onlinebewerbung und die Bezahlung einer Bearbeitungsgebühr von 100 Euro trennen einen potentiellen Interessenten von dem Versenden eines Bewerbungsformulars.
Ist die Online-Bewerbung dann abgeschlossen, heißt es warten: Die estnische Grenzpolizei führt Sicherheitschecks durch, ehe ein Bewerber nach dem erfolgreichen Durchlaufen des Screenings seine physische e-id bei der nächsten estnischen Botschaft abholen darf. Je nach dem, wo der Bewerber lebt, sind kürzere oder längere Anreisen einzurechnen. Bei aktuell 46 estnischen Botschaften weltweit hilft das eigene Empowern sehr eine möglichst kurze Anreise, vielleicht sogar im eigenen Land.
Welcome to the digital nation!
Edward Lucas, ein renommierter Journalist bei der britischen Zeitschrift The Economist, sollte der erste e-resident von Estland sein. Staatschefinnen, wie Angela Merkel, müssen sich nicht um ein Dokument bemühen. Zumeist erhalten Staatsgäste bei ihrem Besuch im estnischen Regierungssitz in Tallinn die e-id feierlich als Gastgeschenk überreicht.
Ob prominent oder nicht: Was alle e-residents vereint, ist die Möglichkeit, digital in Estland ein Unternehmen zu gründen und dieses dann auch mithilfe von Laptops & Smartphones zu verwalten. Eine Aufenthaltsgenehmigung in Estland erhalten die Mitglieder der selbsternannten digital nation nicht. Für den regulären Geschäftsablauf soll eine physische Migration nach Estland schließlich auch nicht nötig sein. Vielmehr ist es e-residents möglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit ihr Unternehmen online zu verwalten und mit der estnischen Administration & Co. in Kontakt zu treten.
Hürden über Hürden
Zwar ist man mit aktuell knapp 28 000 e-residents (Stand: Februar 2018) noch weit von dem Ziel entfernt, bis 2020 10 Millionen Personen als estnische e-residents bezeichnen zu können, doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: Die estnische Regierung hat die Erreichung des Ziels einfach auf das Jahr 2025 verlegt. Unabhängig davon, wie utopisch die Zielsetzung auch erscheinen mag, kann der estnischen Regierung kein mangelnder Ehrgeiz vorgeworfen werden.
Um eine höhere BewerberInnenzahl zu erreichen, wurde deshalb nun in Seoul, der Hauptstadt von Südkorea, eine Visa-Agentur eröffnet. Etwaige Interessierte in dem hochentwickelten und digital affinen Land können fortan in dieser Agentur ihre e-id abholen. Eine längere Reise zur nächst gelegenen estnischen Botschaft in Beijing müssen zukünftige BewerberInnen deshalb nicht länger auf sich nehmen. Dem Empowerment der SüdkoreanerInnen steht nun nicht einmal eine Flugreise im Weg. Wobei die e-residents, auch in meinen bislang geführten Interviews, auch großzügig nach Tallinn und Umgebung eingeladen werden. Der nächste Auslandstrip für den empowerten e-resident ist fix im digitalen Kalender marktiert.
Tagesaktuelle Übersicht
Bei einem näheren Blick auf das Dashboard der e-residency, auf dem tagesaktuell die aktuellen Entwicklungen dokumentiert werden (https://app.cyfe.com/dashboards/195223/5587fe4e52036102283711615553), verrät, dass Südkorea noch nicht unter den Top 22 an Herkunftsländern vertreten ist. Mit Finnland, Großbritannien und den USA in den Top 5 sowie der Tatsache, dass erst knapp 3 500 e-residents tatsächlich eine Firma in Estland gegründet haben, zeigt sich doch, dass die Realität mit dem hochgesteckten Ziel, weltweit Entrepreneurs zu empowern, nicht viel gemein haben kann.
Von Interesse wäre deshalb bei weiteren Analysen zu untersuchen, weshalb so viele e-residents bislang kein Unternehmen gegründet haben. Liegt es vielleicht auch an den teilweise start up-unfreundlichen Bankkontogebühren? Oder aber an den Gebühren der estnischen Accounting-Firmen?