Innovativer, progressiver, digitaler - Der Fall Estland (Teil 2)
10 Gründe für den digitalen Erfolg (18.02.2018)
Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2188 / Projekt: Das Konzept der e-residency

Kulturelle, historische und soziale Begebenheiten spielten eine entscheidende Rolle, weshalb es Estland möglich war, das Narrativ des digital leaders zu entwickeln. Andere Länder werden Estland nicht nachahmen können - und das ist auch gut so.

In den bereits veröffentlichten Blogbeiträgen habe ich versucht, Estland, aber auch das Programm der e-residency vorzustellen. Auch sollten bereits die vorhergehenden Blogbeiträge aufgezeigt haben, dass im digitalen Wunderland Estland auch nicht alles reibungslos funktioniert. Vielmehr hat der Aufenthalt gerade vor Ort gezeigt, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit teilweise auseinanderdriften.

Anlässlich des 100. Unabhängigkeitsjubiläums möchte ich im Rahmen von zwei Blogbeiträgen 10 Gründe auflisten, welche für die Entwicklung von Estland hin zum internationalen digital leader eine Rolle spielen, aber auch für die Umsetzung der e-residency wichtig sind. Hierbei soll allerdings kein Anspruch auf Vollständigkeit für die Liste erhoben werden, sondern Eindrücke geteilt werden, die mein Verständnis für die e-residency maßgeblich geprägt haben.

Unterstützung aus dem Ausland

Mit Nordeuropa, und hierbei im besonderen mit Finnland, pflegt Estland gute Beziehungen. Die Rolle von Finnland und dem Handyproduzenten Nokia wurde etwa von einem Interviewpartner als Grund für die guten wirtschaftlichen Entwicklungen in den 90er Jahren genannt. Auch lassen sich dänische und schwedische Bankfilialen trotz der Digitalisierung des Bankensektors in der Hauptstadt von Tallinn finden. Estland definiert sich als selbst als „nordisch“ und obwohl die Strategie der Entwicklungspolitik explizit einen regionalen Fokus auf die ehemaligen Sowjetstaaten wegen der gemeinsamen Erfahrungen umfasst, will Estland „anders“ und folglich nordeuropäisch geprägt sein.

MINT und EstInnen

Wenn Start-Ups wie Skype erfolgreich in einem Land gegründet werden, braucht es kreative Visionäre, aber auch genügend und gut ausgebildete TechnikerInnen, die die Produkte entwickeln. Die sogenannten MINT-Fächer, welche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik umfassen, werden aktuell an drei Hochschulen gelehrt. Laut einem Report der OECD vom April 2016 sind über ein Viertel der Hochschulabsolventen in MINT-Fächern ausgebildet. Jene Generationen, die zur Zeit der Sowjetunion unterrichtet wurden, verfügen ebenso über eine hohe Rate an MINT-AbsolventInnen. Schließlich wurde auch gerade in der Sowjetunion die Ausbildung in Technik und Naturwissenschaften gefördert.

Funktionierende Zivilgesellschaft?

Ein Interviewpartner hat mir anhand der Kontroverse um die schlechten Sicherheitsstandards des Chip, welcher in der e-ID eingesetzt ist, darzulegen versucht, wie die estnische Gesellschaft „tickt“: Im Herbst 2017, kurz vor den Kommunalwahlen in Estland, wo eben auch die Wählerstimme digital mithilfe der e-ID abgegeben werden kann, sorgte eine Publikation von tschechischen WissenschaftlerInnen für Furore: Laut internationalen Zeitungen konnte nachgewiesen werden, dass der Chip erhebliche Sicherheitsmängel habe. Estnische Zeitungen schwiegen währenddessen und im späteren Verlauf wurde die Kritik der WissenschaftlerInnen leicht abgetan. Laut meinem Interviewpartner wollte die Regierung als digitaler Vorreiter, trotz der Sicherheitsbedenken, an der digitalen Wahlzettelabgabe festhalten. Eine breite Diskussion in der Gesellschaft solle nicht stattgefunden haben und bis zur Wahl, die nicht durch Hacker und Co. beeinflusst werden sollte, wurde Stillschweigen bewahrt.

Ich selbst konnte einem Talk beiwohnen, in dem eine langjährige Digitalisierungs-Expertin erklärte, die Sicherheitsmängel seien kein Problem der estnischen Regierung, sondern des schweizerischen Chipherstellers….

Erfolgreiches Marketing 

Man nehme eine Regierung, die als Start-Up agiert, einige Social Media-Kanäle, die die wichtigen Statements an den Kunden/ Fan im Ausland bringen und die weltweite Reputation als digital nation ist einem sicher! So banal die Strategie von Estland ist, so erfolgreich ist sie auch. #marketing

Neue Ideen über neue Ideen

Wenn die Kommunikationskanäle gesetzt sind, geht es an den Content. Wobei hier gilt, am besten immer das innovativste, weltneueste, progressivste, allerallerbeste, neueste Superduberkonzept auffahren zu können. Ob digitale Wahl, e-ID, Programmieren für Kinder ab drei Jahren, e-residency, Internetzugang als Grundrecht, selbstfahrende Busse oder papierloses Parlament. Estland war, ist und wird immer der digitale Streber sein.

Tags:

Estland Digitalisierung Tallinn e-governance digital society digital leader digital nation e-Estonia Estonia

Anna Mayer

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Anna Mayer ist Masterstudentin der Politikwissenschaft an der Universität Wien sowie Bachelorstudentin der Wirtschaftsinformatik an der TU Wien. Neben ihrem Interesse für das Wechselspiel zwischen Digitalisierung und Gesellschaft liest sie gerne analog Bücher, wahlweise in einem Kaffeehaus in Wien oder einem Café in Tallinn.
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