Marketing, Medien und mitten drin die e-residency
...und mitten drin die e-residency (01.02.2018)
Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2188 / Projekt: Das Konzept der e-residency

In internationalen Zeitschriften und Zeitungen wurde von der innovativen e-residency in den letzten drei Jahren berichtet. Allerdings unterscheiden sich teilweise die mediale Darstellung der e-residency und seine realen Möglichkeiten. Ein Einblick.

Erstaunlicherweise ist es im winterlichen Schneetreiben auf Tallinns Straßen möglich, vereinzelt rote Kisten am verschneiten Horizont zu erblicken. Wenn es einem Menschen möglich ist, sich durch Wind und Schnee näher an das Objekt heranzukämpfen, dann lässt sich unschwer erkennen, dass es sich bei den roten Kisten um Zeitungsboxen handelt.

Für den Besucher oder die Besucherin von Tallinn erscheint dieser Gegenstand doch zumeist ein Relikt aus analogen Tagen zu sein. Eigene Beobachtungen zeigen aber, dass der gemeine Bewohner oder die gemeine Bewohnerin gut und gerne beim frühtäglichen Weg zur Busstation in die Zeitungsbox greift, um ein kostenloses Zeitungsexemplar zu ergattern. 

Die Tallinner schert es anscheinend kaum, dass sie Bewohner eines Staates sind, der sich die Digitalisierung auf die blau-schwarz-weiße Nationalflagge geschrieben hat. In den Bussen sitzen Menschen, die mit ihren Smartphones die aktuellen Nachrichten lesen, neben Zeitgenossen, die ihre Nasen in die Zeitungen stecken.

Diskutiert und geredet wird nicht, alle sind hoch konzentriert in ihre Lektüre vertieft. Sobald der Bus dann an der gewünschten Station hält, verschwinden dann die Fahrgäste -Schwups!- im winterlichen Nirgendwo.

Die digitalen e-residents (in den Medien)

Estland ist mit Sicherheit für sein trübes Wetter, die vielen Wälder und seine "Singing Revolution" bekannt. Die Digitalisierung des öffentlichen Raumes wird aber mittlerweile gut und gerne häufiger mit Tallinn assoziiert alles andere. Schließlich hat die estnische Regierung seit den 90er Jahren einen beachtlichen "digitalen" Tigersprung hingelegt und die internationale Öffentlichkeit gerne daran teilhaben lassen. Die ersten I-Votings im Rahmen der Wahlen in Estland 2005 fanden global ein unfassbares Medienecho. Schier unglaublich erscheint es noch heute für manche Nicht-Esten zu sein, wenn sie von dem System erfahren, welches digital eine  Briefwahl abbildet.

Die meisten e-residents wissen da schon besser über Estland als smart country Bescheid. Schließlich sind sie Teil einer Community, welche zumindest digital zu Estland gehört. Anders als in manch deutschsprachigen Zeitungsartikel beschrieben, erhalten die erfolgreichen BewerberInnen keine e-Staatsbürgerschaft. So manche Artikelüberschrift ist folglich nicht korrekt - ein Beispiel aus dem Manager Magazin: http://www.manager-magazin.de/politik/artikel/estland-verkauft-digitale-staatsbuergerschaft-fuer-50-euro-a-998657.html

Als e-residents ist es Menschen, welche außerhalb von Estland leben, möglich, auf die digitalen Verwaltungsstrukturen des Landes zurückzugreifen. Folglich können diese Menschen dann, sowie es das Ziel des Konzepts ist, digital eine Firma gründen und verwalten. Eine physische Aufenthaltgenehmigung ist damit nicht verbunden, weshalb auch JournalistInnen feder- oder tastendführend für ein korrektes Verständnis der e-residency beitragen. Ein gutes Beispiel (auf Englisch) findet sich im Guardian: https://www.theguardian.com/world/2014/dec/26/estonia-offers-e-residency-to-world-what-does-it-mean Es sei hier allerdings angemerkt, dass nicht alle Berichte so differenziert und genau über die e-residency berichten. Mangelnde Sorgfalt von JournalistInnen kann allerdings hierbei nicht in allen Fällen der Grund sein - auch die Präsentation durch die Verantwortlichen spielt eine wesentliche Rolle. 

Das Marketing der Regierung 

Und die estnische Regierung? Die hat ihr ehrgeiziges Ziel, 10 Millionen e-residents bis 2020 zu erreichen, auf das Jahr 2025 verschoben. Auch die eigens nach dem Brexit in Großbritannien installierte Homepage www.howtostayin.eu bietet dann doch auch auf dem zweiten Blick die Information, wie britische Geschäftsleute eine Firma in Estland gründen können und nicht wie sie physisch in die EU übersiedeln können oder gar auf den britischen Inseln mit einer e-ID auch Bewohner der Europäischen Union bleiben. 

Um potentielle Interessenten zu erreichen, ist sicherlich ein gutes Marketing wichtig. Schließlich sollen weltweit Menschen über das Konzept informiert werden. Wird allerdings die Tatsache berücksichtigt, dass bislang nicht einmal die Hälfte der registrierten e-residents eine Firma gegründet haben und auch die meisten digitalen Firmengründungen in der Ukraine, Finnland und Deutschland stattgefunden haben, stellt sich die Frage, ob diese Gruppe an e-residents nun wirklich zumindest bei den zwei zuletzt genannten, Finnland und Deutschland, das "entrepreneurial potential" von politischen oder ökonomischen Umständen im jeweiligen Land zu  "entfesseln" ist.

Es ist deshalb fraglich, ob Zielansatz und Realität der e-residency übereinstimmen. Eine Evaluation ist hierbei nötig, dennoch ist es fraglich, ob diese Evaluation von den Verantwortlichen gewünscht ist oder dieses verzerrte Bild der e-residency vielleicht auch gewollt ist. 

Tags:

Tallinn Estland e-Estonia Digitalisierung e-residency e-governance entrepreneur

Anna Mayer

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Anna Mayer ist Masterstudentin der Politikwissenschaft an der Universität Wien sowie Bachelorstudentin der Wirtschaftsinformatik an der TU Wien. Neben ihrem Interesse für das Wechselspiel zwischen Digitalisierung und Gesellschaft liest sie gerne analog Bücher, wahlweise in einem Kaffeehaus in Wien oder einem Café in Tallinn.
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