Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2188 / Projekt: Das Konzept der e-residency
Laut der offiziellen Homepage ist es ein Kinderspiel, sich für die e-residency zu bewerben. Dass sich Werbung und Realität stark unterscheiden, zeigt ein näherer Blick auf den Bewerbungsprozess.
Macarons gelten als nicht ganz einfach herzustellen, da es hier auf eine sehr genaue Beachtung der Zutatenmengen, Backtemperatur, -dauer und Ruhezeiten ankommt. Das Gebäck kenne ich primär aus Frankreich, habe es aber auch in den letzten Jahren vermehrt außerhalb des Landes, gerade auch in Wien, vorfinden können. Ich war nicht überrascht, dass auch in einem Café in Tallinn die süßen Köstlichkeiten angeboten werden. Die Färbung in den Farben der estnischen Nationalflagge hat mich dann aber doch schon irritiert. Vielleicht ist ja der bzw. die geneigte LeserIn des Blogbeitrags erfahrener im Konsum von Macarons in Farben von Nationalflaggen - ich freue mich gerne über Erfahrungsberichte in der Kommentarzeile!
Ein schwieriges Unterfangen
Ich für meinen Teil bin keine große Freundin von Macarons, sehe aber die Kunststücke als eine perfekte Allegorie für die e-residency. Denn so einfach, wie der Bewerbungsprozess auf der Homepage angepriesen wird, ist er dann doch für die gemeine oder den gemeinen Interessenten/in nicht.
Zeit
Jeder Bewerber bzw. jede Bewerberin hat einen Identitätsnachweis online hochzuladen sowie 100 Euro Bearbeitungsgebühr mithilfe einer Kreditkarte zu bezahlen. Wer nicht über eine VISA- oder Mastercard-Kreditkarte verfügt, wird es schwer haben. Die interviewten Experten, welche e-residents sind, schwärmten von dem unkomplizierten Bewerbungsprozess. Was aber, wenn ich ein Mensch bin, der, ganz dem Marketing nach, empowert werden soll? Kann dann davon ausgegangen werden, dass jene Person zwangsläufig Zugang zu einer Kreditkarte hat? Schließlich zerplatzt vielleicht der Traum eines zukünftigen Entrepreneurs bevor die Firma erst gegründet ist.
Geld
Neben der Auslage für die Bewerbungsgebühr, werden noch weitere Ausgaben fällig. Ganz "leicht" und "einfach" ist die estnische ID-Karte entweder beim estnischen Grenzschutz im Land selbst oder in einer estnischen Botschaft abzuholen. Trotz der Tatsache, dass seit Dezember 2017 auch weitere Agenturen geplant sind, heißt das für erfolgreiche BewerberInnen, teilweise lange Anreisen in Kauf nehmen zu müssen. So gibt es etwa aktuell auf dem afrikanischen Kontinent nur eine estnische Botschaft und es ist zu bezweifeln, ob etwa die geplante Agentur in Brasilien wirklich flächendeckend für Südamerika agieren wird. Ausgaben für Flüge, Visa und Unterkunft vor Ort werden, je nach Aufenthaltsort, weitaus höher sein als die Bearbeitungsgebühr. Nicht jeder kann "mal schnell" in der estnischen Botschaft in seiner Stadt vorbeischauen, um seine estnische ID-Karte abzuholen.
Geduld
Und das schöne an dem ganzen Prozedere: Sobald die Karte ihre Gültigkeit verloren hat, geht der ganze Spaß von vorne los. Wie bei jedem amtlichen Dokument muss auch die ID-Karte erneut beantragt werden. Sollte bis dahin alles mit dem ID-reader funktioniert, die persönliche Eröffnung eines Bankkontos in einer estnischen Bank (inkl. horrender Kontoführungsgebühren für Nicht-EU-StaatsbürgerInnen) anstandslos geklappt haben, darf sich wieder auf den Bewerbungsprozess gefreut werden. Jede Bewerbung darf übrigens abgewiesen werden - ohne Angaben von Gründen.
Und nun?
Zweifelsohne gibt es viele Hürden im Bewerbungsprozess um die e-residency. Einem Interviewpartner nach kann Estland die Welt nicht neu erfinden - anders als das vielleicht im Marketing um die e-residency erklärt wird. Beruhigend und wichtig ist deshalb, dass etwa bei der Aushändigung eines Identifikationsdokuments wie der estnischen ID-Karte, die jeweilige Person auch persönlich vor einer Behörde vorstellig werden muss. Dass die e-residency deshalb nicht weltweit leicht zugänglich ist, sollte deshalb klar sein. Als gute Start-Up Nation wirbt eben allerdings Estland damit. Willkommen in der neuen Welt des Marketings von Staaten - mit all seinen Luftschlössern inklusive.